Was ist ein Trauma?
Psychisches Trauma ist das Leid der Ohnmächtigen.
(Judith Herman. Die Narben der Gewalt. Junfermann Verlag, 2010)


Das Trauma ist ein Ereignis, das einen Menschen von außen, plötzlich und unerwartet mit Gewalt trifft. Ein traumatisches Ereignis wird als Bedrohung für Leib und Leben erlebt, es ist gekennzeichnet durch Gefühle intensiver Angst und Panik, Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Entsetzen. Ein solches Ereignis überfordert die üblichen Anpassungsstrategien des Menschen auf Gefahrensituationen - Kampf oder Flucht (fight or flight). Wenn eine dieser Handlungen nicht möglich ist, ist das naturgegebene Selbstverteidigungssystem überfordert und bricht zusammen.
Der ganze Körper wird massiv mit Stress überflutet, der jedoch nicht abgebaut werden kann, meist besteht er noch lange weiter, auch wenn die akute Gefahr lange vorüber ist. Es kommt zu Veränderungen bei Gefühlen, Wahrnehmungen und Gedächtnis. Das Ereignis wird nicht im "Langzeitgedächtnis" sondern im sogenannten "emotionalen Gedächtnis" oder "Traumagedächtnis" gespeichert. Der Extremstress blockiert die Informationsspeicherung und führt zu Störungen der Gedächtnisfunktion hinsichtlich des traumatisierenden Erlebnisses.

Es kann sein, dass ein traumatisierter Mensch vielleicht häufig gereizt oder besonders wachsam ist, ohne zu wissen warum, oder aber er empfindet plötzlich nicht erklärbare intensive Gefühle, ohne es mit einem bestimmten Ereignis in Zusammenhang bringen zu können. Man könnte auch sagen, der Zusammenhang zwischen den Symptomen in der Gegenwart und dem ursprünglich Auslöser ist verloren gegangen. Diese Symptome sind eine normale Reaktion auf ein nicht normales Geschehen.

Nicht jedes Ereignis, das potenziell traumatisierend sein kann, führt auch zu einer Traumafolge-Erkrankung. Jeder Mensch hat individuelle Bewältigungsmöglichkeiten, um ein Trauma psychisch zu verarbeiten. Nicht jeder, der ein Trauma erlebt, wird danach krank.
Eine stabile Persönlichkeit, ein gutes soziales Umfeld, Unterstützung nach dem Geschehenen, darüber sprechen können und ernst genommen werden sowie das Anerkennen von anderen bzw. der Gesellschaft, dass einem Schreckliches widerfahren ist, können dazu beitragen, dass ein Mensch auf das Ereignis nicht mit Traumafolge-Symptomen reagiert.

Ereignisse, die traumatisierend sein können:
  • Gewalttaten: körperliche und sexuelle Misshandlungen, Vernachlässigung in der Kindheit, Entführung, Folter, Gewalt in der Familie, Überfall, Vergewaltigung
  • Unfälle
  • Naturkatastrophen: Erdbeben, Überschwemmungen, Zug- oder Flugzeugkatastrophen
  • lebensbedrohende Krankheiten
  • Kriegserlebnisse
  • plötzlicher Verlust eines nahestehenden Menschen
  • die Zeugenschaft solcher Ereignisse


Traumafolge-Störungen

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann als Folge von Traumatisierung als Krankheitsbild auftreten. Sie ist eine Störung der Stressverarbeitung und hat unter anderen folgende Symptome:

  • Intrusionen: auftauchende Erinnerungen und Bilder, Albträume, Gefühle (Angst…), Körperempfindungen (Schmerzen, Druckgefühl);
  • Konstriktionen (Vermeidungsverhalten): Ängste, Phobien, sozialer Rückzug;
  • Übererregung (Unruhe, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Jähzorn)

Weitere Folgen von traumatisierenden Erlebnissen sind auch manchmal Angsterkrankungen, Depressionen, somatoforme Störungen, Essstörungen, Suchtverhalten, dissoziative Störungen, Persönlichkeitsveränderungen.


Die Phasen der Traumatherapie

Phase 1 - Anamnese und Diagnostik
In dieser Phase ist das Herstellen einer sicheren therapeutischen Beziehung, von Stabilität und Kontrolle von besonderer Wichtigkeit, damit Klienten Selbstwirksamkeit (wieder) erlangen können. Diese struktur- und haltgebende Erfahrung in der Therapie  ist für Klienten das Erleben eines Gegenpols zum Gefühl der Hilflosigkeit und der Ohnmacht im Trauma. Neben der traumaspezifischen Anamnese und Diagnostik ist diese Phase auch vom Geben von Sachinformationen über Trauma, Erklärungen von Stressreaktionen usw. geprägt. Es geht um ein "Sich-selbst-Verstehen".

Phase 2 - Stabilisierung und Ressourcenaufbau
Sie ist die wichtigste und (meist) auch längste Phase der Traumatherapie.
Zu dieser Phase gehört das Herstellen von Stabilität im außen (körperlich und sozial) und nach innen (psychische Stabilisierung); das  Erlernen von kognitiven und imaginativen Übungen, um Strategien für den Alltag bereit zu haben, um für sich gut sorgen und sich selbst trösten und beruhigen zu können. Ziel ist es, die Kontrolle über das innere Erleben und seine Affekte (z.B. Jähzorn) wieder zu haben. Diese Phase ist geprägt davon Stärke aufzubauen, um sich dem unfassbar Schrecklichen nähern zu können.

Phase 3 - Traumakonfrontation und -integration
Erst nachdem genügend Stabilität hergestellt, Ressourcen aufgebaut wurden und Klienten das "Traumamaterial" kontrollieren können, kann die Traumakonfrontation erfolgen. Dabei werden Erlebnisse aus dem Trauma kontrolliert und "in kleinen Dosen" bearbeitet. Durch diese Konfrontation wird das traumatische Ereignis als ein vergangener Teil seiner eigenen Lebensgeschichte integriert und erzählbar - anstelle dessen, wo vorher "sprachloses Entsetzen" herrschte. Methoden, die hierzu entwickelt wurden, sind vor allem: EMDR und die Screen-Technik (Bildschirm-Technik).

Phase 4 - Trauer und Neuorientierung
Wenn der Schrecken und die Folgen des traumatischen Ereignisses als vergangenes Geschehen erfasst wurde, kann über das, was geschehen ist und über die versäumte Zeit, erstmals getrauert werden. Ist diese Trauer abgeschlossen, ist es möglich, sich vertrauensvoll in die Zukunft zu orientieren.


EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)

ist eine von Dr. Francine Shapiro in den USA entwickelte sehr wirksame traumabearbeitende Psychotherapiemethode. Ursprünglich zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen entwickelt, zeigt sich die Methode auch in der Behandlung anderer belastender Erlebnisse als wirksam. Ein weiteres zentrales Element der EMDR-Methode ist der Aufbau von Ressourcen, Stärken und Fähigkeiten.

EMDR wird in sehr strukturierter und  standardisierter Weise eingesetzt, um möglichst große Behandlungseffekte zu erreichen. Eines der zentralen Elemente der EMDR-Methode ist die „bilaterale Stimulation“ mittels Augenbewegungen. Es scheint so zu sein, dass dadurch die Blockade der Informationsverarbeitung im Gehirn aufgelöst wird und somit die belastenden Erinnerungen integriert und verarbeitet werden können.

Quellen: Herman, J. (2010). Die Narben der Gewalt. Junfermann |
Huber M. (2007). Trauma und die Folgen. Junfermann | EMDR Institut Deutschland | ZAP Wien

Praxis für Psychotherapie
                        Michaela Schenkermayer
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In jedem steckt eine
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für ihn ergreifen kann.

(Erwin Ringel)